Kleists Medien by Arndt Niebisch
Autor:Arndt Niebisch
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter GmbH
veröffentlicht: 2019-07-15T00:00:00+00:00
7.3.2Das Doppelpendel
Die Beschreibung der Marionetten schlieÃt an eine solche Struktur an. Die Bewegungen der Marionetten sind strukturell näher an den vergeblichen Bemühungen des Jünglings als an dem âursprünglichenâ Ausdruck von Grazie. Es wird nicht explizit diskutiert, ob die Bewegungen der Marionetten wiederholt werden können, aber es scheint doch evident zu sein, dass diese âgeistlosenâ physikalischen Systeme nicht einfach die bereits ausgeführten Bewegungen wieder ausführen können. Diese Gliedermänner generieren keinen klar vorgegebenen Tanz, sie tanzen keinen Walzer, sondern produzieren ein kinetisches Rauschen.410 Die Bewegungen, die durch den Puppenspieler, Maschinisten oder durch eine Kurbel hervorgerufen werden, können prinzipiell die gleichen sein, die Bewegungen der Marionetten werden aber immer Varianzen produzieren, so dass jeder Tanz ein neuer sein wird. Dies sind Tropen der modernen Chaostheorie, und auch hier wäre es problematisch, Kleist als groÃen Visionär einer postmodernen Anschauung zu beschreiben. Was diese Analyse aber sichtbar macht, ist, dass Kleist in diesem Text explizit ein Instrument beschreibt, das am Ursprung der modernen Chaostheorie steht:411 das Doppelpendel, also ein Pendel, an dem noch ein weiteres Pendel angeschlossen ist. Die Kopplung dieser beiden Pendel macht die Bewegungen unvorhersagbar, weil die Interaktion der beiden Pendel bereits eine Komplexität erzeugt, die weit über die periodische Bewegung eines einzelnen Pendels hinausgeht.412
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